Hoffnung ist das Problem
(kann aber auch Teil der Lösung sein)
Frohes Neues! 2025 wirft düstere Schatten voraus für Leute, die den Planeten, das Leben oder die Demokratie mögen.
Sollte nicht gerade jetzt radikale Hoffnung das Gebot der Stunde sein? Na ja ...
Klimabewegungen (s.u.) halten teilweise nicht so viel von Hoffnung:
"FUCK HOPE" / "Hope dies - Action begins!" / Hoffnung lähmt!
Wie kommt's?
"Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her"...
... diese freundliche kleine Weisheit kramte meine liebe Oma für uns gerne aus ihrem kleinen aber feinen Schatzkästchen des Lebens.
Manch einer mag behaupten, Weisheit sei ein großes Wort dafür. Ist es.
Andererseits war meine Oma ein Mensch voller Wärme; irgendwie war sie wie ein Ofen, sie befand sich fast immer in der gleichen Ecke des Zimmers, hat außer Rauch nicht viel von sich gegeben, aber sie wärmte jeden, der sich zu ihr setzte auf eine Art, die ich nicht in Worte zu fassen vermag.
Wenn das eigene Leben umfangen war von Kälte und Dunkelheit, wenn Unwetter aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit auf einen niedergingen - und das taten sie - dann saß da meine Oma mit all ihrer Wärme und mit ihrem Lichtlein und spendete Geborgenheit und - ja - Hoffnung.
Aber warum? Weil es im eigenen Leben oft darum geht, weiterzumachen, zu hoffen, vielleicht zu glauben. Depressionen gehen vorbei, Zeiten der Trauer gehen vorbei. Ein neuer Morgen erwartet den, der die Kraft findet, die Zeit zu durchschreiten, indem er sich an seiner Liebe festhält, sich auf seine Hoffnung stützt.
Das versprochene Lichtlein ist somit - gemessen an der Herausforderung und an der gesammelten Erfahrung - keine Floskel, sondern eher eine Prophezeiung, eine Aussicht, eine Vorhersage für ein wahrscheinliches Szenario. Es ging meiner Oma nicht darum, einen einzulullen. Sie hat zwar nicht viel darüber geredet, aber sie hat den Krieg erlebt und musste auch danach noch viele Jahre warten, bis mein Opa aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkam, sie hat Zeiten der Dunkelheit durchschritten mit ihrem Lichtlein und der Blick zurück gab ihr Recht.
Das alles musste nicht ausgesprochen werden, um hintergründig und ohne Worte mitzuschwingen und den seichten Satz mit Tiefe und Glaubwürdigkeit - und somit womöglich Weisheit - zu füllen.
Gleiches Lichtlein - anderer Kontext - großes Problem
Wenn ich heute beschreibe, dass wir uns im sechsten großen Artensterben in der Geschichte des Planeten befinden und im ersten, das durch den Menschen voran gepeitscht wird, dann gibt es niemanden auf der Welt, der das schon mal erlebt hat und zurückblicken könnte.
Wenn wir es uns mit unseren Lieben am Ofen gemütlich machen, dann wird es nicht von alleine wieder gut werden, dann kommt da kein Lichtlein. Hunderte Millionen werden sterben und Milliarden werden ihre Heimat verlieren.
Allgemeine, unbegründete Hoffnung ist etwas, das sich nur Menschen im globalen Norden, in der westlichen Welt, z.B. in Deutschland, leisten können.
Wer gerade ertrinkt oder verdurstet, weil er geflohen ist oder weil er geblieben ist und wer zuvor schon seine Familie verloren hat, der weiß mit großer Sicherheit, dass ihn ein Durchschreiten der Zeit nirgends hinbringt, außer zum metaphorischen Lichtlein, auf das man am Ende zugeht.
Wer um das eigene Leben und das der eigenen Familie bangt, der hofft nicht nur, der tut etwas, der kämpft, der rennt, der schwimmt. Der versucht nicht, die Zeit hinter sich zu lassen, der muss den Ort, seine Wirklichkeit hinter sich lassen.
Wer hier bei uns am Ofen sitzt und in Erwartung des Lichtleins durchs Dunkel der Zeit zu wa(r)ten gedenkt, wer dabei tunlichst vermeidet, aus dem Fenster zu schauen, der schätzt die Lage verheerend falsch ein. Die Zerstörung der Welt und der Niedergang der Zivilisation, der Demokratien ist absolut nicht das gleiche wie eine individuelle schwere Zeit. Es ist in gewisser Weise das Gegenteil: Die Zeit ist nicht unser Freund, sie ist unser Gegner, auch hier bei uns in Deutschland.
Alles, was wir heute nicht tun, wird unser Leben morgen und das Leben unserer Kinder extrem einschränken und verunmöglichen.
Und schon heute verbrauchen wir in Deutschland drei Erden, leben im Durchschnitt drei Leben. Zwei davon nehmen wir Menschen im globalen Süden - Menschen, die nichts dafür können - Menschen die nicht weiß sind - Menschen ohne Lichtlein - weg, das ist rassistisch und menschenverachtend, aber hinter den Rollladen der Verdrängung in unseren Wohnzimmern des Wohlstands gut verborgen.
Von allen Formen der Hoffnung ist die Hoffnung auf das Lichtlein - die mir individuell bei meiner Oma sehr gutgetan hat - die vielleicht gefährlichste, arroganteste und tödlichste, wenn es um Klimakrise, Artensterben und Faschismus geht.
Wer sich im Trockenen im Kreis der Lieben am Herdfeuer wärmt und im fahlen Schein von Konsum, Verdrängung und womöglich Resignation auf das Lichtlein wartet, der ist Teil des Problems.
Ich will aber hoffen!
Hoffnung im Kampf für die Klimagerechtigkeit hat eine Daseinsberechtigung, Hoffnung ist gut und richtig, aber eben nur, wenn man auch entschlossen eigenes Engagement zur Stärkung der Plausibilität dieser Hoffnung einbringt.
Wenn wir ein eigenes Projekt aus der Taufe heben oder eine Aktion starten, dann ist die Hoffnung der Wind unter unseren Flügeln, dann trägt er uns höher und weiter, vielleicht nicht bis zum Ziel, aber doch merkbar voran. Und selbst wenn das Ziel schon lange nicht mehr erreichbar ist, weil wir den Zeitpunkt als Menschheit längst verpasst haben, dann trägt sie uns doch Meilenstein für Meilenstein, Menschenleben für Menschenleben weiter in die Richtung des Lebens und der Solidarität.
Diese Hoffnung, eine Hoffnung, die uns nicht einlullt, die uns nicht lähmt und uns nicht blind macht für das Leid der Menschen, diese Hoffnung ist selbstverständlich erstrebenswert. Sie treibt mich jeden Tag aufs Neue an.
Schaut aus dem Fenster, lasst verborgene Ängste und Trägheit hinter euch und stellt euch dem Horror dort draußen, eurer Panik, eurer Hilflosigkeit, aber auch konstruktiver Wut. Zugegeben, das ist erst mal nicht so angenehm, aber es eröffnet die Möglichkeit, kognitive Dissonanz sinnvoll aufzulösen, weiterzusehen und zu verstehen, kongruent Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit bzw. Selbstwirksamkeit und ein daraus entstehendes Kohärenzgefühl zu erleben, das man vielleicht schon lange vermisst oder noch nie erlebt hat. (Zugegeben, man ist mitunter auch ziemlich angepisst.)
2025 ... Ein wirklich gutes Jahr, um aufzubrechen!
A.J. - 4.1.2025